Wer das historische Gelände der Kaiserswerther Diakonie mit seinen denkmalgeschützten Bauten betritt, muss schon sehr abgelenkt sein, um nicht der Ausstrahlung einer bald zweihundertjährigen Tradition zu erliegen. Rund die Hälfte der Zeit war auch die 1928 gegründete Werkstatt für evangelische Paramentik Teil dieser Tradition, ehe vor 14 Jahren ihr Ende schon besiegelt schien. Kerstin Fröse und Valeska Stengert, die beiden letzten verbliebenen Mitarbeiterinnen, wendeten den Traditionsabbruch noch einmal ab und machten sich mit der Gründung der „Kaiserswerther Paramente Fröse + Stengert GbR“ selbstständig. Aber Ende dieses Jahres wird ihre Werkstatt geschlossen.
„Wir sind nicht dafür verantwortlich, die Paramentenwerkstatt in der rheinischen Kirche am Leben zu erhalten“ – das hatten sich die beiden gesagt, als sie zum 1. April 2009 den Neustart wagten. Jetzt, wo die Schließung absehbar ist, kann sich Kerstin Fröse doch nicht von der Last der Tradition befreien und von dem Gedanken: „Wir sind die, die das hier kaputt machen.“ Bei jedem Stich denke sie: „Das mache ich jetzt zum letzten Mal.“ Aber trotz manchmal auch harter Zeiten überwiegt im Rückblick das Positive: „Wir sind stolz darauf, das geschafft zu haben“, sagt Valeska Stengert. Und ihre Kollegin ergänzt: „Es war eine Chance, uns weiterzuentwickeln.“
Zu Beginn spielten Zeit und Wirtschaftlichkeit keine Rolle
Weiterentwicklung hat es in Kaiserswerth bei aller Tradition immer gegeben. Als die Diakonissen ihre Arbeit aufnahmen, entstanden zunächst Wandbehänge und Teppiche. Der Flachs für den Leinenstoff wurde selbst angebaut, die Garne selbst gefärbt. Vor allem aber spielten Zeit und Wirtschaftlichkeit noch keine Rolle. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg waren die besonders aufwendigen Nonnensticharbeiten die Regel. Dabei werden die gesamte Stofffläche und die liturgische Farbe komplett ausgestickt.
Das änderte sich mit dem Kommen von Kurt Wolff. Der junge Grafiker sollte die Leitung übernehmen und die Paramentenwerkstatt als Teil einer ganzen Reihe geplanter Werkstätten für kirchliche Kunst weiterentwickeln. Sein Start verlief noch holprig. Von der Leiterin der ersten Stunde, Diakonisse Nathalie von Meyeren, ist der legendäre Satz überliefert: „Wenn ein Mann diese Werkstatt betritt, gehe ich in den Rhein.“ Und auch die geplanten Werkstätten für Grafik, Stein, Holz und Metall wurden nie Realität. Aber Wolff prägte die Kaiserswerther Paramentik schließlich mehr als ein halbes Jahrhundert mit seinen innovativen Entwürfen. Von ihm stammt der Begriff der „Orgel für die Augen“. Und in Antependien sah er den Erinnerungskalender an die „Augenblicke Gottes“.
Kurt Wolff war der Werkstatt bis zuletzt verbunden
Unter Wolff entwickelte die Werkstatt eine ganz neue Technik – weg vom flächendeckenden Nonnenstich hin zu Stickereien auf schon in der liturgischen Farbe gefärbtem Untergrund. „Herr Wolff war immer an unserer Seite“, erinnern sich Fröse und Stengert an seine fortwährende Beratung bis zu seinem Tod 2003. Doch auch sie verwalteten später nicht nur sein Erbe, sondern ließen neue, textilfremde Materialien in ihre Paramente einfließen: Stein, Glas, Holz, Metall, Pailletten, Nägel. Ausgeliefert werden heute fast nur noch individuelle Einzelentwürfe. Eine voll ausgestickte Altarfläche von knapp einem Quadratmeter kann dabei leicht um die hundert Stunden in Anspruch nehmen.
Der Werkstatt sind beide schon seit 1994 verbunden. Stengert stieg damals als Praktikantin ein, nachdem die gelernte Buchhändlerin und begeisterte Handarbeiterin auf der Dortmunder Creativa-Messe auf einen Stand der Paramentenwerkstatt gestoßen war. Im selben Jahr begann Fröse in Kaiserswerth mit ihrer Ausbildung zur Stickerin. Ihrer künstlerischen Neigung war sie zwar schon auf der Schule in einem Kunst-Leistungskurs nachgegangen. Doch dann hatte sie sich eher für die Arbeit einer Ergotherapeutin interessiert. „Eigentlich habe ich nur meiner Mutter zuliebe hier angerufen.“ Gewachsen ist bei beiden Frauen in den knapp 30 Jahren eine enge Verbindung – nicht nur zu der Werkstatt, sondern auch zum gesamten Diakoniegelände. Die Aussicht auf den Verlust des Dazugehörigkeitsgefühls schmerzt sie schon heute.
Leise Hoffnung auf eine Nachfolge noch nicht aufgegeben
Die Meldung von der Schließung zum Ende des Jahres macht sich derweil bereits bemerkbar. Einige Gemeinden wollen noch fehlende Antependien ergänzen oder erwägen den kompletten Austausch ihrer Altbestände. An Arbeit wird es für die letzten Monate nicht mangeln. Dann wird Valeska Stengert (65) in den Ruhestand wechseln. Und für ihre Geschäftspartnerin Kerstin Fröse (49), die wie sie über Jahre parallel noch in der Pflege gearbeitet hat, steht fest: „Die Werkstatt allein durchzuziehen, ist mir zu riskant.“ Manches aus dem Bestand wird an die Fliedner-Kulturstiftung gehen, die schon den künstlerischen Nachlass von Kurt Wolff übernommen hat. Der Rest wird verkauft.
Oder ob sich auf der Zielgeraden doch noch jemand findet, der die Tradition unter neuen Bedingungen und mit eigener Handschrift in die Zukunft führen mag? Erfahrungen mit Paramenten sollte es schon geben, ist Stengert überzeugt. „Aber dann ist das eine Chance für jeden, der möchte.“ Eine andere Tradition würde sie auf jeden Fall weitergeben: „Wir haben auch die Telefonnummer übernommen, die schon Jahrzehnte gegolten hatte.“