Beten vor dem Schlafengehen, Geschichten vorlesen aus der Bibel, heikle Fragen über das Leben nach dem Tod beantworten: Übernehmen hauptsächlich Mütter in den Familien die religiöse Erziehung? „Das muss nicht so sein“, sagen Jürgen Haas und Thomas Grebe. Die beiden Experten aus der evangelischen Männerarbeit sind sich einig: Kinder profitieren davon, wenn sich beide Elternteile auf ihre Weise in die religiöse Erziehung einbringen.
Glauben und darüber sprechen: Ist das eher Sache der Mutter?
Jürgen Haas: Wir machen die Erfahrung, dass Themen um Religion und Gauben in den Familien eher von den Frauen übernommen werden. Und oft überlassen Väter den Müttern diese Themen auch gerne – zumindest im christlichen Kontext. In muslimischen Familien läuft das wohl meist anders. Allerdings befinden wir uns in einem Dilemma, wenn wir über die Mütter, die Väter und die Familien sprechen: Denn wir können natürlich nicht generalisieren. Menschen sind ja ganz unterschiedlich.
Womit hat es zu tun, dass offenbar in vielen Fällen eher Mütter die religiöse Erziehung übernehmen?
Thomas Grebe: Männer haben gelegentlich eine größere Distanz zu Kirche und Religiosität, weil diese Themen für sie als irrational gelten. Sie sehen sich in der Erziehung selbst eher als den rationaleren Part, der Dinge hinterfragt. Aber wir erleben bei vielen jüngeren Männern auch keine Anti-Haltung, sondern eher etwas Indifferentes. Sie fühlen sich in dem Bereich nicht verwurzelt oder beheimatet.
Jürgen Haas: Das hat allerdings viel mit der eigenen Prägung der Väter zu tun. Jeder Mann bringt seine eigene Sozialisierung mit. Wer selbst keine Erfahrungen mit Kirche gemacht hat oder in der eigenen Familie keine Gelegenheit hat, religiöse Zugänge zu erleben, bringt auch häufig weniger Bereitschaft mit, diese Themen dann selbst in der Familie zu übernehmen. Und wir erleben auch, dass Männer sich in religiösen Fragen vielfach als weniger kompetent erleben. Sie wollen aber mit ihren Stärken abgeholt werden und verlegen sich dann in der Kindererziehung eher auf Bereiche, in denen sie sich sicher fühlen.
Wo findet religiöse Erziehung in der Familie überhaupt statt?
Thomas Grebe: Gebete, Segen, Geschichten und Abendrituale: Familien haben ja ganz verschiedene Momente im Alltag, in denen diese Themen vorkommen. An vielen Stellen gibt es gemeinsame Rituale. Manchmal beten Eltern und Kinder gemeinsam vor dem Schlafengehen, damit sich das Kind geborgen fühlen kann. Oft bringen die Kinder Tischgebete aus der Kita mit oder es gibt einen Gebetswürfel. Und zur religiösen Erziehung gehört auch die Entscheidung: Wie gehen wir mit den Fragen unserer Kinder um? In einem Kinderleben gibt es verschiedene religiöse Zeitalter mit ganz unterschiedlichen Fragen und Unsicherheiten. Was stellen Eltern dann zur Verfügung? Was bieten sie an?
Und warum ist es wichtig, dass dabei auch Väter mitmachen?
Thomas Grebe: Damit der Zweifel nicht schon mit eingesät wird, wenn ein Elternteil bei diesen Fragen stumm bleibt. Denn Kinder erspüren vieles. Es ist schön für Kinder zu erleben, dass sich beide Elternteile einbringen. Dann erleben sie Religiosität mitten in der Familie. Dazu kommt, dass Kinder in der Kindertagesstätte und in der Grundschule ja auch die meiste Zeit mit Frauen über diese Themen ins Gespräch kommen. 92 Prozent der Mitarbeitenden sind weiblich. Religiosität verbreitet sich bei uns also in den allermeisten Fällen über Frauen. Auch deswegen sind Väter gefragt.
Beten Väter anders?
Jürgen Haas: Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Väter sind im Umgang mit diesem Thema und ihren Kindern sehr unterschiedlich. Wichtig für viele Väter ist es, authentisch und offen zu sein. Wenn Kinder erleben, wie sich ihre Eltern für religiöse Themen öffnen, dann werden sie neugierig und stellen Fragen. In Seminarkontexten bedeutet dies zum Beispiel, dass Kinder ihre Väter erleben, wenn sie mit ihnen an einem spirituellen Angebot teilnehmen und die Väter sich darauf einlassen. Sie lernen, dass Beten ein Moment des Sammelns und ein besonderer Moment der Nähe zu Gott sein kann. Sie spüren dies in der Gemeinschaft und mit ihrem Papa.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, um Väter starker in die religiöse Erziehung ihrer Kinder einzubinden?
Thomas Grebe: Wir können Vätern als Kirche – auch über unsere Kitas – anbieten, sie in ihrer religiösen Kompetenz zu stärken.
Jürgen Haas: Und genau das machen wir mit unseren Angeboten ja auch, die auf Väter oder auch Väter und ihre Kinder zugeschnitten sind. Dort erleben wir manchmal unsichere Väter, die erzählen, dass sie nicht bibelgewandt genug seien, um ihren Kindern eine biblische Geschichte zu erzählen. Wir machen ihnen dann Mut, Geschichten mithilfe von Bilderbüchern zu erzählen, die Werte wie zum Beispiel Freundschaft oder Gemeinschaft vermitteln. Und schon sind wir beim Thema Nächstenliebe. Geschichten erzählen können Männer genauso wie Frauen. Bei uns lernen sie auch biblische Geschichten kennen und erweitern so ihr Repertoire. Es gibt auch schöne Kinderlieder, die Zugänge zu Gott schaffen und manchmal in Seminaren zu Ohrwürmern werden. Ich denke hier zum Beispiel an das bekannte Dinolied. Und wir stellen bei unseren Veranstaltungen auch fest: Männer sind häufig durchaus bereit, sich auf spirituelle Angebote einzulassen. Dafür brauchen sie nach unserer Erfahrung niederschwellige Angebote.
Thomas Grebe: Dann lassen sich Väter abholen. Wir haben schon gemeinsam etliche Vater-Kind-Wochenenden veranstaltet. Und immer wieder beobachten wir dabei auch, wie sich Väter von ihren Kindern religiös anstecken lassen. Sie nehmen die Begeisterung ihrer Kinder für diese Themen wahr und es entsteht eine Art Wechselwirkung. Väter lassen sich für religiöse Themen sensibilisieren und auch für gemeindliche Angebote begeistern. Sie nehmen selbst etwas mit. Religiosität wird miteinander erlebbar, das Sprechen über Religion kann sich verwandeln in ein Einfühlen in Religion.
Welche Aufgaben könnten Kindergärten dabei übernehmen?
Jürgen Haas: Es gibt viele Einrichtungen, die bereits Angebote verwirklichen, um Mütter und Väter bei der religiösen Erziehung zu unterstützen. Eltern können auch nach Büchern in der Kita fragen, die ihnen helfen, mit ihren Kindern ins Gespräch zu kommen. Auch die Gemeindepfarrerinnen und Gemeindepfarrer können mit eingebunden werden. Da ist noch einiges möglich, um über die Kitas Zugänge zu entdecken. Wir haben die Chance, mit Unterstützung der Kitas in fast jedem Ort Akzente setzen zu können. Und das wird umso wichtiger, wenn wir über die Zukunft von Kirche sprechen.
Thomas Grebe: Und wir wissen: Wenn die Teams in den Kindertageseinrichtungen für Kinder und Väter ein gutes Angebot machen, dann lassen sich Väter auch darauf ein. Dann sind die Türen offen für gute und gemeinsame Erfahrungen – und religiöse Erziehung wird ganz lebendig.
Zu den Personen: Thomas Grebe und Jürgen Haas
Pfarrer Thomas Grebe arbeitet als Referent beim Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe . Er ist spezialisiert auf das Arbeitsfeld Kinder und Kindertageseinrichtungen. Gemeinsam mit Jürgen Haas bietet er seit etlichen Jahren unter anderem Tagungen, Seminare und Workshops im Rahmen der evangelischen Männerarbeit an – für männliche Fachkräfte in Kitas genauso wie für Väter und Kinder. Jürgen Haas ist Studienleiter für Evangelische Familienbildung beim Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen . Einer seiner Schwerpunkte ist die Familienbildung mit dem Fokus „Väter und Kinder“. Er ist außerdem für die Männerarbeit in Südwestfalen zuständig.
Hinweis: Die Geschichte ist Teil der am 15. Mai 2023 erschienenen 20. Ausgabe des Evangelischen Elternmagazins Zehn14. Alle Informationen zum Magazin und zur Bestellmöglichkeit finden Sie hier.