Düsseldorf/Grevenbroich. Die Raumbezeichnung A1.02a ist nüchtern, die Fotos an der Pinnwand zeugen noch von der kümmerlichen Vergangenheit als Geräteraum und Rumpelkammer. Doch inzwischen hat sich daraus ein „Room to talk“ entwickelt – mit bequemen Sesseln, Pflanzen und einer stylischen Stehlampe. Und im Erasmus-Gymnasium in Grevenbroich ist nur noch vom Seelsorgeraum die Rede.
Die bundesweite ökumenische Woche für das Leben widmet sich in diesem Jahr vom 22. bis 29. April der „Generation Z(ukunft)“ und ihrer „Sinnsuche zwischen Angst und Perspektive“. Der Grevenbroicher Schulleiter Dr. Michael Collel erlebt ganz konkret, wie sich die Krisen der Gegenwart von Corona über den Klimawandel bis zum Krieg in Europa in dieser Jugendgeneration niederschlagen: „Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die krank werden, hat sich spürbar vergrößert.“ Bei zwei bis sechs Kindern und Jugendlichen pro Jahrgang werde mittlerweile ein Klinikaufenthalt verzeichnet. Collel spricht von einem „mannigfaltigen Belastungsspektrum“, das trotz einer intakten Schulgemeinschaft ein Umdenken erfordert habe: „Als das Konzept der Schulseelsorge vorgestellt wurde, gab es im Kollegium ein Aufatmen. Das war mehr als erwünscht, das war erhofft.“
Präses Latzel: Schulseelsorge auch ein Segen für die Einrichtungen
Michelle Didi und Cathrin Linnartz, beide Lehrerinnen für Deutsch und evangelische Religion, bilden nach einjähriger Ausbildung seit Jahresbeginn das Schulseelsorgeteam an dem international ausgerichteten Gymnasium. Anlässlich der Woche für das Leben besuchte Präses Dr. Thorsten Latzel das neue Projekt und den geschaffenen Raum dafür, der zum Großteil von der Landeskirche finanziert wurde mit Unterstützung zweier örtlicher Kirchengemeinden, des Fördervereins der Schule, des Kirchenkreises und der Stadt. „Schulseelsorge ist ein Segen sowohl für die jungen Menschen als auch für die Einrichtungen insgesamt. Man sieht oft nicht, welche Sorgen Schülerinnen und Schüler mit sich herumschleppen.“ Eine Einschätzung, die von der landeskirchlichen Dozentin Sabine Lindemeyer bestätigt wird: „Hinschauen schafft Bedarf. Wenn diese Kultur an der Schule etabliert wird, treten die Probleme zutage, aber die Prävention gelingt auch viel besser.“
Wertvoller Freiraum für Jugendliche
Und das Themenfeld, das in der Schulseelsorge Raum bekommt, ist groß. „Das reicht von der Angst vor schlechten Noten über Liebeskummer und Essstörungen bis zu Suizidgedanken und Selbstverletzungen“, erzählt Michelle Didi. Gerade die jüngsten Tötungsfälle unter Kindern hätten bei Gleichaltrigen die Frage aufgeworfen: „Wem kann ich noch vertrauen?“. Der Bedarf ist so groß, dass die beiden Lehrerinnen mitunter darauf achten müssen, die eigene Seele nicht zu überfordern. Beide sind froh, die Ausbildung im Team angefangen zu haben und sich nicht nur gegenseitig stützen, sondern auch auf ihre jeweiligen Supervisionsgruppen zurückgreifen zu können, die sie für unerlässlich halten. Entscheidend für das Selbstverständnis: Schulseelsorge ist in schweren Fällen Teil der Unterstützung, aber kein Therapieersatz. „Es ist wichtig, dass Seelsorge kein direktes Ziel verfolgen muss“, sagt Cathrin Linnartz. „Wir wollen zeigen, dass man hier einfach sein kann und Dinge geschützt ausgesprochen werden können ohne Ziel. Dieser Freiraum ist besonders wertvoll für Jugendliche.“
Zwischen Zukunftsangst und Problemvermeidung
Von einer Besichtigung des Seelsorgeraums hat Fünftklässlerin Laureen (11) entsprechend den Eindruck mitgenommen, „dass man sich hier einfach wohlfühlen kann“, erzählt sie im Gespräch mit Präses Latzel. Ihre ältere Mitschülerin Adaobi Celiann (16), die im kommenden Jahr ihr Abitur macht, berichtet von mentalen Problemen während der Pandemie. „Während Corona hatte man Zeit, sehr viel über sich selbst nachzudenken.“ Sie selbst schwanke zwischen „sehr großer Zukunftsangst“ und Problemvermeidung. „Nachrichten zu gucken, ist derzeit nicht nur für Jugendliche eine große Herausforderung“, pflichtet ihr Latzel bei. Ihre Zukunftsträume lassen sich die Schülerinnen trotzdem nicht nehmen: Laureen spricht selbstbewusst davon, Anwältin und Bürgermeisterin werden zu wollen. Und Adaobi will versuchen, Musik zumindest zu einem großen Teil ihres Lebens zu machen.