Aus dem Kongo in das Saarland: In dieses Abenteuer hat sich Kindergartenleiterin Aline Katungu Bulere gestürzt. Seit Dezember des vergangenen Jahres arbeitet sie im Zuge eines Fachkräfteaustauschs in der Evangelischen Kita Saarlouis. Davon profitieren alle Seiten.
„Vor meiner Ankunft habe ich mir natürlich Gedanken gemacht: Wie werde ich auf der Arbeit angenommen, wie ist das Leben in Deutschland?“, blickt Aline Katungu Bulere auf ihre Einreise im November 2023 zurück. Ihre Bedenken hätten sich jedoch schnell aufgelöst. „Es war alles sehr gut vorbereitet. Das hat mir Sicherheit gegeben.“ Sicherheit, die geholfen hat, anzukommen. Denn der Alltag in Deutschland hielt durchaus Herausforderungen für die Kongolesin bereit. Ein Beispiel: In der Demokratischen Republik Kongo wird in öffentlichen Verkehrsmitteln bei Fahrtende bezahlt, nicht vor Fahrtantritt. „Daran musste ich oft erinnert werden“, erzählt Bulere und lacht. „Mittlerweile habe ich mich an vieles gewöhnt.“
Gottesdienste werden wohl ungewohnt bleiben
Vor allem die Gottesdienste werden jedoch wohl immer etwas ungewöhnlich für sie bleiben. „In meiner Heimat feiern wir lange Gottesdienste, tanzen und singen viel und laut. Hier singt nur die Orgel“, sagt sie mit einem Schmunzeln. Und dann ist da noch das Alleinsein: „Ich habe eine große Familie, da ist immer etwas los. Nach Hause zu kommen und alleine zu sein, kenne ich so nicht.“
Projekt ist auf drei Jahre angelegt
Seit dem 1. Dezember 2023 arbeitet die 27-Jährige im Zuge des ersten Fachkräfteaustauschs zwischen dem Saarland und Goma als Erzieherin in der Evangelischen Kindertagesstätte Saarlouis. Ermöglicht wurde das Projekt durch die Partnerschaft des Evangelischen Kirchenkreises Saar-West mit dem Kirchenkreis Goma der Communauté Baptiste au Centre de l’Afrique (CBC). Finanziert wird es unter anderem durch Mittel des Projekts „Bilinguale Kita“ des Saarlands. Angelegt ist die Förderung vorerst auf drei Jahre. Für die Zukunft ist ein Aufenthalt einer deutschen Fachkraft in Goma geplant – sobald es die Sicherheitslage zulässt. Denn derzeit herrscht dort Krieg.
Bulere bringt Kindern ihre Muttersprache näher
„Ziel des Projekts ist es, dass Aline den Kindern ihre Muttersprache Französisch näherbringt“, erläutert Susanne Fritsch, Leiterin der Evangelischen Kita Saarlouis. Aus der Lernforschung sei bekannt, dass sich Kinder durch spielerisches Lernen Dinge besser einprägen könnten. „Wenn sie von unseren Fachkräften und Aline die deutschen und französischen Begriffe hören, stellen sie den Zusammenhang leichter her.“
Buleres offene Art kommt gut an
In Goma ist Bulere Kindergartenleiterin. „Ich bin ein neugieriger Mensch, ich wollte lernen und verstehen, wie das offene System in Deutschland funktioniert“, schildert sie ihre Motivation, ein solches Abenteuer zu starten. Mit ihrer offenen Art kommt sie gut an. „Aline hat sich von Beginn an total auf ihr neues Umfeld eingelassen und ist super sensibel mit Kindern umgegangen, die noch ein bisschen Berührungsängste hatten“, schildert Fritsch. Zudem sei sie eine gute Beobachterin. „Sie reflektiert die Abläufe genau und spricht Dinge offen an. Das bietet gute Impulse für unsere Arbeit.“
Kita-Systeme unterscheiden sich deutlich
Die Voraussetzungen dafür sind jedenfalls gegeben. Denn die Kita-Systeme im Kongo und in Deutschland unterscheiden sich deutlich. „Bei uns sind Kindergärten ähnlich wie Schulen aufgebaut. Es gibt Klassen mit Frontalunterricht durch eine Erzieherin“, erklärt Bulere. Spielerisches Lernen sei nicht verbreitet. „Es gibt kaum pädagogische Lernmaterialien“, berichtet sie. Auch gebe es keine Altersdurchmischung der drei- bis sechsjährigen Kindergartenkinder. „Ich finde es toll, dass hier die älteren Kinder die jüngeren unterstützen.“ Ohnehin sei das System viel offener. „Das gefällt mir sehr.“
Beide Seiten haben bereits Impulse mitgenommen
Kita-Leiterin Fritsch sieht in dem fachlichen Austausch mit Bulere viele Chancen. „Deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Arbeit fortlaufend evaluieren und schauen, was wir anpassen und übernehmen können“, so Fritsch. Erste konkrete Ideen hat Bulere bereits im Kopf. „Ich kann mir gut vorstellen, jeden Tag 30 Minuten fest einzuplanen, um mit den Kindern durch kleine Übungen Französisch zu lernen“, sagt sie – und stößt mit der Idee bei der Kita-Leiterin auf offene Ohren. Auch für die Arbeit im Kongo hat sie bereits Anregungen gesammelt. „Ich nehme etwa die Bauweise der deutschen Kitas mit. Hier ist alles so konzipiert, dass die Kinder nicht einfach auf die Straße rennen, sondern sich eigenständig und sicher bewegen können. Das ist bei uns anders.“ Zudem wolle sie die Einführung von pädagogischen Lernmaterialien anregen.
„Das Projekt erdet mich und mein Team“
Fritsch selbst hat ebenfalls erste Denkanstöße mitgenommen. „Das Projekt erdet mich und mein Team in gewisser Weise.“ Aus dem Austausch könne man lernen, dass auch ohne optimale Bedingungen vieles möglich sei. „Und das Projekt führt mir wieder vor Augen, dass wir in Deutschland eine gewisse Meckerkultur haben.“ Vieles sei selbstverständlich, etwa in Sicherheit zu leben. „Das ist es für viele Menschen in anderen Ländern aber nicht.“
Auch die Kinder profitieren
In diesem Zusammenhang profitieren laut Fritsch auch die Kinder enorm von dem Fachkräfteaustausch. „Sie lernen, dass Lebensumstände in anderen Ländern ganz anders sein können als bei uns hier in Deutschland.“ Um mehr voneinander zu erfahren, hätten die Kinder bereits Fragen nach Goma geschickt und andersherum: „Gibt es bei euch Snacks im Kindergarten?“ „Habt ihr auch einen Vulkan?“ „Daraus kann durchaus eine Art Brieffreundschaft entstehen“, erzählt Fritsch – und verdeutlicht an einem Beispiel, welche Früchte das Projekt bereits trägt: „Die Kinder haben sich gewünscht, das eingenommene Geld aus unserem Frühlingsmarkt zur Hälfte für Goma zu spenden.“ Die andere Hälfte sei an das Dillinger Tierheim gegangen. „Auf diese Idee wären sie wohl sonst nicht gekommen.“
Info: Ausgabe #22 des Elternmagazins Zehn14
Diese Geschichte ist Teil der 22. Ausgabe des Evangelischen Elternmagazins Zehn14 . Das Magazin bietet Wissens- und Lesenswertes zu Erziehungsfragen und Glaubensthemen. In der Titelgeschichte geht es dieses Mal um ein Kita-Projekt zum Thema Weltreligionen . Weitere Themen sind unter anderem: Kreativ mit Kindern beten, Giftpflanzen im Garten und die Folgen von Notbetreuung für Familien. Zehn14 ist ein Gemeinschaftsprojekt des Evangelischen Presseverbands für Westfalen und Lippe e.V. und der Evangelischen Kirche im Rheinland . Es erscheint zweimal im Jahr und kann von Kitas und Kita-Trägern zur Weitergabe an Eltern abonniert werden. Infos zum Magazin sowie zur Bestellung gibt es unter www.zehn14.de . Auch Einzelhefte zur Ansicht können dort bezogen werden.